M. Cattaruzza u.a. (Hrsg.): Territorial Revisionism

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Titel
Territorial Revisionism and the Allies of Germany in the Second World War. Goals, Expectations, Practices


Herausgeber
Cattaruzza, Marina; Stefan, Dyroff; Dieter, Langewiesche
Erschienen
New York 2014: Berghahn Books
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Siegfried Weichlein, Departement Historische Wissenschaften - Zeitgeschichte, Universität Freiburg (Schweiz)

Die zweite Welle der Nationalstaatsgründungen in Ost- und Ostmitteleuropa nach dem Ersten Weltkrieg eröffnete zweieinhalb Jahrzehnte voller Revisionismus. Fast jeder Staat wollte von einem anderen Staat Gebiet und ‹eigene› Bevölkerung. Bekannt sind die ungarischen Rückforderungen nach dem Friedensvertrag von Trianon, in dem es zwei Drittel seines Gebietes verloren hatte. Marina Cattaruzza, Expertin auf dem Gebiet der Nationalitäten und Minderheiten in Ostmitteleuropa, hat in ihrem Projekt Territorial Revsionism den Revisionismus unter den Bedingungen deutscher Herrschaft, also im Wesentlichen von 1938 bis 1944, untersucht. Herausgekommen ist ein Band mit zehn Beiträgen zur territorialen Revisionspolitik in Ungarn, Rumänien, Bulgarien sowie zu Polen und der Ukraine.

Marina Cattaruzza und Dieter Langewiesche erarbeiten in der Einleitung einen Analysekatalog für die Untersuchung des territorialen Revisionismus in jenen Ländern, die mit der revisionistischen Supermacht Nazi-Deutschland im Bunde waren. Wie ging die Aussenpolitik Hitlers mit den Verbündeten auf dem Balkan und in Osteuropa um? Schliesslich gab es dort deutsche Minderheiten. Wie veränderte die nationalsozialistische Hegemonialmacht die Grenzen von 1919? Welchen politischen Spielraum besassen die Verbündeten innerhalb der deutschen ‹Lebensraumpolitik›? Schliesslich umfasste das nationalsozialistische Bündnissystem mit Ungarn, Rumänien und Bulgarien drei Staaten, die miteinander kriegerisch verfeindet waren. Wie trugen sich umgekehrt die Revisions ansprüche der deutschen Verbündeten in die Politik des Völkermords und des Judenmords ein? Welche Rolle spielte die Erinnerung an Nationalitätenkämpfe in den multinationalen Monarchien in der Revisionspolitik nach 1919? Die Herausgeber gliedern die Beiträge in drei Blöcke: zu Minderheiten, zum Revisionismus im Allgemeinen und zur praktischen Umsetzung der Revisionspolitik. Abgerundet wird der Band durch eine Auswahlbibliografie, die auch Titel zu Finnland, Slowakei, Kroatien und Italien enthält – also zu Staaten, die im Band ansonsten nicht behandelt werden– und ein umfangreiches Register.

Die Beiträge kommen zu einer Reihe von erstaunlichen Ergebnissen. Die deutsche Revisionspolitik konnte sich lange nicht auf die eigenen Minderheiten in Rumänien und der Tschechoslowakei stützen. Diese forderten stattdessen Minderheitenrechte. Erst als das misslang, wurde der Anschluss an das Reich zu einer Option für die Sudetendeutschen (Franz Sz. Horvath). In den Wiener Schiedssprüchen von 1938 und 1940 trat Rumänien Gebiete an Ungarn ab. Die rumänische Revisionspolitik wählte jedoch ein Bündnis mit Deutschland und damit implizit auch mit Ungarn. Die rumänische Revision zielte auf die Sowjetunion und die Juden ab, die Marschall Antonescu für den Verlust der Territorien verantwortlich machte und die man besonders bestialisch umbrachte (Mariana Hausleitner). Umgekehrt war Ungarn kein einfacher Erfüllungsgehilfe Hitlers, auch wenn es von seiner Revisionspolitik profitierte. Admiral Horthy verhinderte bis 1944 die Deportation der ungarischen Juden, die erst nach der deutschen Besetzung des Landes erfolgte (István Deák). Insgesamt behielten die autoritären und faschistischen Bündnispartner der Nazis einen erstaunlich grossen Handlungsspielraum.

Der Unterschied zwischen der Bibliographie und den Länderschwerpunkten der Beiträge deutet schon die Schwachstelle des Bandes an. Die Bündnispolitik der Nazis reichte weiter als hier abgebildet und auch der territoriale Revisionismus. Es fehlen Beiträge zu Finnland, Italien, der Slowakei und besonders Kroatien, einem der engsten Verbündeten mit territorialen Ambitionen. Und es fehlt wenigstens ein Ausblick nach vorn. Denn nach 1945 stehen etwa Ungarn und Rumänien genau wieder da, wo sie 1919 waren. Erst nach 1990 regt sich der territoriale Revisionismus wieder. Sind wir in puncto Territorial Revisionism wieder in der Zwischenkriegszeit oder sind wir in der Zeit vor 1914, mit der EU und Brüssel in der Rolle von Österreich-Ungarn und Wien?

Zitierweise:
Siegfried Weichlein: Rezension zu: Marina Cattaruzza, Stefan Dyroff, Dieter Langewiesche, Territorial Revisionism and the Allies of Germany in the Second World War. Goals, Expectations, Practices, New York: Berghahn, 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 2, 2017, S. 285-286.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 2, 2017, S. 285-286.

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